Lernbehinderung

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Claudia70Benedikt
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Lernbehinderung

Beitrag von Claudia70Benedikt » 07 Nov 2014, 19:56

Ich habe lange überlegt, ob ich hier meine Sorge wegen unseres Sohnes einstellen soll. Wegen der Anonimität ist es wohl einfach, davon zu erzählen.
Unser Sohn ist schon seit der 3. Klasse als Integrationsschüler an einer Regelschule. Seit diesem Schuljahr in der 5. Klasse. Da die Schule keine Förderstunden bereitstellen kann hat man uns vorgeschlagen, unserem Sohn einen Integrationshelfer zur Verfügung zu stellen. Wir waren einverstanden mit der Absprache, daß der Integrationshelfer nicht nur gezielt Benedikt betreut, sondern auch anderen in der Klasse Hilfestellung leisten soll. Der Hintergrund dabei ist, daß ich befürchte, daß Benedikt dicht macht, wenn er merkt, daß der Integrationshelfer eigentlich nur für ihn da ist. Wir haben also mit den Lehrer diesen Deal ausgehandelt, und die waren damit sicherlich auch mehr als zufrieden, denn es sind noch weitere leistungsschwache Kinder in der Klasse. Also lohnt sich diese Kraft auch aus wirtschaftlicher Seite.
Wir haben also diese Woche den Antrag auf Kostenübernahme erhalten und da steht (sinngemäß): Antrag auf Kostenübernahme eines Integrationshelfers bei "Lernbehinderung" lt. § xy SGB. Ich bin zuerst erschrocken, denn bisher haben alle, ob bewußt oder unbewußt, das lasse ich mal dahin gestellt, das Wort "Lernbehinderung" noch nie ausgesprochen. Und dann soll man sowas unterschreiben. Meine Gefühle fahren Achterbahn und ich wanke zwischen Wut, Enttäuschung, Selbstzweifel, Hoffnung, Entsetzen und Hilflosigkeit. Hat denn mein Kind überhaupt eine Zukunft?
Es ist mir klar, dass er schuliche Probleme hat, aber so deutlich zu erfahren, schwarz auf weiß sozusagen, das ist schon krass für uns Eltern.
Im Moment des ersten Lesens hab ich alle meine Hoffnungen davon schwimmen sehen.

Gott sei Dank fahren wir in 11 Tagen in die Mukikur. Die Indikationen gehören zum Glück zum Therapiebereich unserer Klinik. Bin halt jetzt auch nur verunsichert und überlege, ob es noch weitere alternativen gibt. Irgendwie komme ich nicht mit dieser Diagnose klar. Eigentlich ist es gar keine Diagnose, sie ist ja nicht vom Arzt oder Therapeuten bestätigt. Aber es tut weh, sowas von seinem Kind zu lesen. Liebe ihn sehr und möchte ihm doch nur helfen. Fühle mich aber einfach macht- und hilflos. Was soll man da tun und wie? :cry:
Liebe Grüße
Claudia

Mutter-Kind-Kur in Graal-Müritz, Klinik Meeresbrise vom 18.11. bis 09.12.2014

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leuchtturm66
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Re: Lernbehinderung

Beitrag von leuchtturm66 » 07 Nov 2014, 22:03

Liebe Claudia,

schnauf mal ganz tief durch - dein Sohn ist noch derselbe wie vor der "Diagnose" und wird sich dadurch auch nicht verändern. Ob es wirklich eine Lernbehinderung ist, steht ja gar nicht fest, ich vermute, dass zumindest auch ein Faktor ist, dass das Ding für den Antrag einen Namen haben musste, denn schließlich muss er ja noch bewilligt werden. ;) Und wenn es tatsächlich eine Lernbehinderung sein sollte, dann ändert sich grundsätzlich ja auch nichts; außer dass ihr nun genau wisst, woran ihr seid und noch gezielter helfen könnt.

Sicherlich ist eine solche "Diagnose" erstmal ein Schock, aber ich bin mir sicher, dass ihr eurem Sohn bisher gut geholfen habt und auch weiterhin gut helfen werdet, egal, welchen Namen das Problem trägt.
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Isus72
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Re: Lernbehinderung

Beitrag von Isus72 » 07 Nov 2014, 23:04

Weswegen war dein Sohn denn in der Grundschule Integrationsschüler?
Natürlich liebst du ihn und du wirst auch weiterhin den richtigen Weg für ihn finden. Nicht jedes Kind muss/kann ganz easy durch die Schullaufbahn marschieren.

Meine Tochter E. habe ich auch dieses Jahr abklären lassen. Diagnose: kombinierte Störung schulischer Fertigkeiten.
Sie hat also Dyskalkulie und LRS. Aufmerksamkeit und logisches Denken sind aber sehr gut bzw. eher überdurchschnittlich.

Ich bin mit dieser Diagnose innerlich, wenn ich ehrlich bin, unzufrieden. Ich hätte sie lieber "normal". Aber was genau ist denn normal? Jedes Kind sollte so gut sein, wie es ist und so geliebt werden, wie es ist.
Isus(47) + C(49) + F(22) + J(18) + E(16)
2005 Sylt
2007 Friedrichskoog
2009 Kühlungsborn
2011 Bad Schönborn
2013 Borkum
2015 Borkum
2017 Graal-Müritz
2020 Bad Pyrmont

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Claudia70Benedikt
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Re: Lernbehinderung

Beitrag von Claudia70Benedikt » 08 Nov 2014, 12:56

Liebe Isus72,

Benedikt war wegen seiner Matheprobleme und wegen der Konzentrationsschwierigkeiten als Integrationsschüler anerkannt, eine AVWS wurde auch diagnostiziert. Es ist auch heute noch so, daß er mit differenziertem Plan arbeitet, speziell auf seine Problematik abgestimmt. Das ist ja auch in Ordnung so und wir sind ja auch in erster Linie darauf bedacht, daß es ihm psychisch gut geht, und sind auch mit der Förderung einverstanden gewesen. Der Druck, der auf ihm lastete war in den ersten 2 Jahren enorm hoch. Wir haben Ergotherapie, Psychotherapie und noch so manch anderes über uns ergehen lassen, bis Benedikt gestreikt hat, weil das alles zeitgleich gelaufen ist. Und ich muß ehrlich sagen, daß auch ich gestreßt war von den vielen Terminen, die jede Woche anstanden. Insofern befasse ich mich ja schon längere Zeit mit der Symptomatik. Aber noch nie hat man uns so unvermittelt eine solche Diagnose so (in meinem Empfinden) brutal vermittelt. Ich bin wirklich geschockt und wie ich bereits geschrieben habe habe ich meine Hoffnungen auf ein normales Lernen und Leben dahinschwimmen sehen. Ich frage mich, ob es möglich ist, in einen einigermaßen anerkannten Beruf zu kommen. Ich denke an seine Zukunft, was, wenn er das nicht schaffen kann? Wie kann ich ihn unterstützen? Unterstützen aber nur in dem Maß, daß wir nicht wieder in Druck geraten. Meint ihr, daß in der Mutterkind-Klinik Möglichkeiten bestehen, ihn positiv zu leiten, daß er auch die Unterstützung, die wir ihm bieten, annimmt. Das ist bisher immer so ein Balanceakt gewesen. Je nachdem wie er sich gerade fühlt lehnt er jede Hilfe ab. Ich habe deshalb irgendwann verstanden, daß ich zu Hause jede Art von Hilfe und Unterstützung minimiere. Ich überlasse praktisch ihm die Entscheidung, ob wir was tun oder nicht. Das handhabe ich jetzt schon seit der 3. Klasse so und es ist auf lange Sicht auf jeden Fall der richtige Weg gewesen. Aber ich hadere immer wieder mit mir, ob ich richtig entschieden habe bzw. täglich immer wieder richtig entscheide. Einerseits habe ich so erreicht, daß er seine Hausaufgaben erledigt, was vorher eine Totalverweigerung war, andererseits frage ich mich natürlich, ob nicht auch mehr möglich ist. Aber insgeheim, in meinem tiefsten Inneren weiß ich, daß ich nicht anders handeln kann. Oft sind Kinder ja der Spielball ihrer Eltern, die so hochmotiviert sind und ihre Kinder unbewußt selbst unter Druck setzen. Das habe ich mir eingestanden, habe ich zu Anfang auch so gehandhabt und es war eindeutig falsch. Unser Sohn ist stark genug, um das zu unterbinden. Aber auch, weil er diese Stärke hat, hadere ich mit mir. Vielleicht ginge ja auch mehr... Wer weiß das schon, wer kann das beurteilen. Ich nicht. Vielleicht komme ich ja mal irgendwann auf den Sinn des ganzen.
Dyskalkulie ist bei ihm auch nicht geprüft worden, aber es stand im Raum. Wir haben uns dagegenentschieden, wir wollten ihn nicht "abstempeln". Anerkannt wird die Dyskalkulie ja offiziell nicht (entgegen LRS) und nur zu wissen, daß es so ist, aber keinerlei Nutzen daraus ziehen zu können war uns einfach zu gewagt.
Tut mir leid, ich schreibe einfach nur meine Gefühle, Ängste und Gedanken auf. Auf jeden Fall werde ich mein Kind niemals fallen lassen, da kann kommen was will. :-?
Liebe Grüße
Claudia

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Claudia70Benedikt
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Re: Lernbehinderung

Beitrag von Claudia70Benedikt » 08 Nov 2014, 13:08

Ich glaub, ich hab sie nicht mehr alle. Ich habe, von der Lernbehinderung mal abgesehen, ein gesundes Kind, das ist doch wohl auch was... Kenne Kinder mit gesundheitlichen Problemen, Down Syndrom Kinder. Und ich mach mir solche Gedanken!?
Liebe Grüße
Claudia

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leuchtturm66
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Re: Lernbehinderung

Beitrag von leuchtturm66 » 08 Nov 2014, 15:09

Claudia70Benedikt hat geschrieben:Liebe Isus72,

Tut mir leid, ich schreibe einfach nur meine Gefühle, Ängste und Gedanken auf. Auf jeden Fall werde ich mein Kind niemals fallen lassen, da kann kommen was will. :-?
Das ist doch gut so, dass du das alles niederschreibst, es hilft dir sicher, dein Kopf- und Gefühlschaos zu sortieren. Und dein Kind bleibt dein Kind, egal, welche Diagnosen da noch kommen sollten, das war das, was ich mit meinem Posting sagen wollte. ;)
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Claudia70Benedikt
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Re: Lernbehinderung

Beitrag von Claudia70Benedikt » 08 Nov 2014, 15:19

leuchtturm66 hat geschrieben:
Claudia70Benedikt hat geschrieben:Liebe Isus72,

Tut mir leid, ich schreibe einfach nur meine Gefühle, Ängste und Gedanken auf. Auf jeden Fall werde ich mein Kind niemals fallen lassen, da kann kommen was will. :-?
Das ist doch gut so, dass du das alles niederschreibst, es hilft dir sicher, dein Kopf- und Gefühlschaos zu sortieren. Und dein Kind bleibt dein Kind, egal, welche Diagnosen da noch kommen sollten, das war das, was ich mit meinem Posting sagen wollte. ;)
Hallo Leuchtturm66,

ich habe deinen Beitrag auch positiv verstanden. Es ist eben nur nicht so einfach im Gefühlschaos klar zu kommen. An manchen Tagen ist die Belastung nicht so groß, an anderen kommt man nicht so recht klar. Ich schlage mich noch mit anderen Problemen herum, da verlässt einen manchmal schon der Mut und es fällt schwer, das positive zu sehen. Danke für eure Gedanken, die trösten und geben wieder Mut. :wave:
Liebe Grüße
Claudia

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Re: Lernbehinderung

Beitrag von leuchtturm66 » 08 Nov 2014, 15:24

Claudia70Benedikt hat geschrieben:
leuchtturm66 hat geschrieben:
Claudia70Benedikt hat geschrieben:Liebe Isus72,

Tut mir leid, ich schreibe einfach nur meine Gefühle, Ängste und Gedanken auf. Auf jeden Fall werde ich mein Kind niemals fallen lassen, da kann kommen was will. :-?
Das ist doch gut so, dass du das alles niederschreibst, es hilft dir sicher, dein Kopf- und Gefühlschaos zu sortieren. Und dein Kind bleibt dein Kind, egal, welche Diagnosen da noch kommen sollten, das war das, was ich mit meinem Posting sagen wollte. ;)
Hallo Leuchtturm66,

ich habe deinen Beitrag auch positiv verstanden. Es ist eben nur nicht so einfach im Gefühlschaos klar zu kommen. An manchen Tagen ist die Belastung nicht so groß, an anderen kommt man nicht so recht klar. Ich schlage mich noch mit anderen Problemen herum, da verlässt einen manchmal schon der Mut und es fällt schwer, das positive zu sehen. Danke für eure Gedanken, die trösten und geben wieder Mut. :wave:
Das Gefühlschaos kann ich gut verstehen. Ich habe, wie so viele andere hier auch, auch irgendwie "besondere" Kinder. Jeder Mensch ist natürlich etwas Besonderes, aber meine sind eben besonders im Sinn von vielen Krankheiten und psychischen Problemen... Das ist gerade für die Mütter, die doch nur das Beste für ihre Kinder wollen, nicht immer einfach, das kann ich gut verstehen. Deswegen tut es so gut, sich hier auszutauschen, sehr oft findet man sogar Mütter, die Kinder mit ähnlichen Problemen haben, das hilft enorm gegen das Chaos.

Ich drücke dich mal feste!!
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Claudia70Benedikt
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Re: Lernbehinderung

Beitrag von Claudia70Benedikt » 08 Nov 2014, 15:28

Danke, ich nehm die Umarmung gerne an. Heute ist mir einfach zum heulen.. :cry:
Liebe Grüße
Claudia

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giuly
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Re: Lernbehinderung

Beitrag von giuly » 08 Nov 2014, 21:02

Es ist sehr schwierig " besondere " und nicht normale Diagnosen zu akzeptieren. Gerade unsere Tochter, ehemaliges Fruehchen, staendug Bronchitis, Asthma & Co. wird Anfang des Jahres krank. Bis dahin war sie schon anders....zumindest uncool und noch sehr Kind. Jetzt im Nachhinein aergere ich mich, dass ich mich frueher habe verunsichern lassen. Denn was Anfang des Jahres a lles war, laesst alles vorherige laecherlich aussehen. Und leider hat sie davon eine starke Schaedigung des Swhnervs und somit Gesichtsfeldausfaelle zurueckbehalten, keine Besserung in Sicht und somit eine Sehbehinderung. Wir haben einen Antrag auf Schwerbehinderung gestellt, aber das war hart. Und es ist hart zu sehen wie Familie und Bekannte mit umgehen, meist sture Verdraengung.
Daher ist es gut, wenn man hier mal alles abladen kann. :)

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