Der Tag an dem mein Leben begann

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Gnom

Der Tag an dem mein Leben begann

Beitrag von Gnom » 29 Aug 2008, 11:56

Hallo Ihr Lieben!

Ich schreibe schon, seit ich die Buchstaben gelernt habe. Frueher waren es eher Gedichte, seit einiger Zeit versuche ich mich an Kurzgeschichten und habe nun auch einen Lehrgang zum Theme "Schreiben" belegt.

Dies war mit eine meiner ersten Kurzgeschichten und entstand aus einer Fingeruebung heraus aus einem Schriftsteller-Forum.

Ueber Kommentare sowie Kritik freue ich mich immer sehr!



Der Tag an dem mein Leben begann

Wenn ich zurueckblicke, ist mir alles klar. Ein Teil fuegt sich zum anderen. Vorher war das Leben fuer mich harte Realitaet. Und jeder Tag eine Qual. Eine sinnlose Leere, die mich mehr und mehr ausfuellte und die die Farben um mich rum verblassen liess.
Als ich an jenem Morgen aufwachte, an dem fuer mich die Hoelle begann, aber auch mein Glueck, schien mir die Welt besonders grau, obwohl die Strahlen der Sonne alles in Gold verwandelten. Jeder normale Mensch nutzt solche Tage, um diese vollkommen auszukosten und sie zu den besten im Leben zu machen. Nicht so bei mir. Genau diese hellen Stunden machten es mir viel leichter in eine dunkle Tiefe zu stuerzen, aus der ich kaum wieder hochkam und aus der mich niemand retten konnte. Wahrscheinlich haette auch keiner Zeit gehabt mich zu retten, rasten sie doch alle optimistisch in schicken Autos durch das Leben, waehrend ich mit dem Bus fuhr, der an jeder kleinen Station hielt und mir das Gefuehl gab, niemals anzukommen, so dass ich mich immer oefter fragte, ob ich eigentlich im richtigen Bus sass. Von woher kam ich ueberhaupt? Und wo musste ich hin? Wer war ich? Und warum schien ich im falschen Bus zu sitzen? Meine Mitfahrer wussten scheinbar immer, wann sie aussteigen sollten. Nur ich nicht. Ich fuhr immer im Kreis.
Dies aenderte sich genau in dem Moment, als wir die Kuestenstrasse lang fuhren. Mir ist nicht mehr bewusst, ob wir es erst hoerten, oder erst sahen. Wahrscheinlich war alles zugleich da: Das Geraeusch und...Wasser. Ueberall Wasser. Unter uns, ueber uns, hinter uns, vor uns. Waere der Bus durch die Wucht der aufprallenden Masse nicht umgekippt und weiter getrieben, haette man sagen koennen: Wir standen bis zum Hals im Wasser. So aber schwammen wir erstmal ziellos umher, auf der Suche nach Orientierung.
Manche schrieen in wilder Panik. Sie hoerten gar nicht mehr auf zu schreien. Andere klammerten sich an allem fest, was Halt bot, weinten und riefen nach ihrer Mutter oder ihren Lieben. Es gab auch welche, die gar nichts mehr taten, nichts mehr tun konnten...
Und was war mit mir? Ich tat auch erst gar nichts. Aber dann dachte ich: Du willst hier raus. So begann ich, zum ersten Mal in meinem Leben nach einem Ausweg zu suchen.
Ich fand ihn. Die meisten Fenster waren durch den Aufprall des Wassers kaputt gegangen, aber nur eines eignete sich, um durchzukommen. Ich rief den anderen zu: "Hier kommen wir raus!" Aber sie schauten nur verwirrt und wollten sich lieber weiter festhalten.
Also kletterte ich alleine durch.
Ein bizarres Bild bot sich mir, als ich auf den Bus sass. Mein Verstand sagte mir immer wieder, dass dort Haeuser stehen sollten, zwischen denen sich eine Strasse durch schlaengelte, mit Baeumen links und rechts und Wiesen und Feldern. Aber meine Augen konnten dies nicht im Einklang mit meinem Wissen bringen, denn sie sahen nur ein riesiges Meer von dem, was die Menschen als kostbarstes Gut bezeichnen.
Die Angst war leise gekommen, fast unmerklich, erst als mulmiges Gefuehl, jetzt umhuellte sie mich ganz, drueckte mir in den Magen bis zur Uebelkeit und liess alle Glieder taub werden und mein Bewusstsein fast ausloeschen. Mein Herz raste und liess meinen Atem stossweise kommen. Schweiss brach mir aus und vermischte sich mit der klammen Kaelte meiner Kleider. Ich wuerde hier nie wieder rauskommen! Fuer immer wuerde ich auf den Bus bleiben muessen - ohne Essen, brauchbares Wasser... die Dinge, die ich zum Ueberleben brauchte. Das Ende war klar. Aber wollte ich das einfach so hinnehmen? Nein! Denn ich wollte leben. Noch nie hatte ich es so gespuert. Nur: Wie sollte ich das anstellen?
Da sah ich weit hinten etwas aus dem Wasser ragen. Es musste wohl ein Huegel sein, jetzt sah es jedoch aus wie eine Insel. Das war meine einzige Chance. Ich musste schwimmen. Und ich tat es! Ich schwamm um mein Leben, fuer mein Leben.
Anfangs ging es leicht. Aber dann breiteten sich Schmerzen in meinen Armen aus, und mit jedem Schwimmzug wurden sie staerker. Trotz des kalten Wassers begann ich zu schwitzen, und ich rang immer mehr nach Atem. Meine Arme wurden schwer, meine Beine spuerte ich kaum noch. Ich fuehlte mich wie ein grosser Stein, der einfach auf den Boden sinken wollte. Und die kleine Insel war immer noch nicht naeher gekommen...

Wie ich den Huegel erreicht habe, weiss ich nicht mehr. Eine unsichtbare Kraft hat wohl das letzte Stueck meine Arme und Beine bewegt, denn ich selbst kann es nicht gewesen sein, da ich in eine Art Schlafzustand war.
Auf dem Huegel waren noch andere, die leben wollten. Sie halfen mir aus dem Wasser und irgendwann kam ein Hubschrauber und flog uns dahin, wo es warm und sicher war und wo man sich um uns kuemmerte.

Ich denke noch oft an den Bus, mit den Menschen darin, der fuer mich zur Falle wurde, aber auch mein Leben rettete. Oder war es die Flut? Die Hoelle war es, aber auch mein Glueck, denn ich habe das Leben gefunden und weiss nun, wer ich bin.
Mein Name ist Mirko. Er bedeutet "Frieden".

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